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Aggregierte Datenraten und TCP Throughput: Ist mein WLAN wirklich zu langsam? Oder hat der Hersteller einfach übertrieben?

Veröffentlicht von empy
Lesezeit: 4 Minuten

Immer wieder bekomme ich die Frage, was man tun kann, wenn das heimische WLAN zu langsam ist. Die Antwort auf diese Frage liegt zwar nicht immer, oft aber an einer falschen Erwartungshaltung des Fragestellers. Und daran ist die WLAN-Industrie auch nicht ganz unschuldig. Mit markigen Werbesprüchen wird WLAN immer schneller, es werden Datenraten angepriesen, die so in der realen Welt nicht nutzbar sind. Wie von Sinnen werden Datenraten wild über verschiedene Bänder einfach mal zusammengerechnet.

Hier zum Beispiel im Fall des Telekom Speedport Pro Plus: Stolze 9.700 Mbit/s sollen möglich sein. Je nach Betrachtungsweise ist das mehr oder weniger sogar korrekt. Naja irgendwie. Der Router funkt mit 8×8 MU-MIMO im 5-GHz-Band mit bis zu 8.600 MBit/s. Das klappt allerdings nur bei 1024-QAM, einer Modulationsart die wirklich nur im Nahbereich des Routers und bei Sichtverbindung funktionieren dürfte. Zudem funkt der Router natürlich auch im 2,4-GHz-Band. Mit vier Antennen ergeben sich so nochmal weitere 1.100 Mbit/s unter besten Bedingungen. Zusammengerechnet macht das 9.700 Mbit/s. Logisch oder?

Auch das Endgerät spielt eine Rolle

Ich selbst kenne keinen Client, welcher mehrere Bänder gleichzeitig nutzen kann. Und selbst das neueste iPhone 12, ohne Zweifel ein echtes high-end Gerät im Markt, kann von den oben angekündigten acht bzw. vier Spatial Streams lediglich zwei nutzen. Von der angepriesenen Datenrate von 9.700 Mbit/s bleibt so wenig übrig. Wieviel genau? 300 Mbit/s. Details siehe unten.

Immerhin reden die Hersteller solcher WLAN-Router von aggregierte Datenraten. Das macht die Aussage dann wieder richtig, denn mehrere Clients können in Summe vom WLAN-Router sicherlich irgendwie mit der beworbenen Geschwindigkeit beliefert werden. Nur eben nicht gleichzeitig. Aber ist es nicht das, was ein Anwender im Alltag erwarten würde?

Für sich genommen kommt bei einem Endgerät also weniger Datenrate an. Aber wieviel Datenrate ist denn nun realistisch? Zurück zum Beispiel iPhone 12. In den offiziellen technischen Angaben sind die maximalen Datenraten sehr übersichtlich aufgelistet: Wi-Fi 6 liefert maximal 1.200 Mbit/s, Wi-Fi 5 bis zu 866 Mbit/s und Wi-Fi 4 bringt noch 300 Mbit/s auf die Waage. Funkt das WLAN im alten 802.11b/g/n-Standard, sind maximal noch 144 MBit/s möglich. Datenrate ist also sowohl vom WLAN-Router als auch vom Endgerät abhängig.

Datenrate ist nicht Geschwindigkeit

144 Mbit/s: Auf den ersten Blick ist das immer noch schneller als die Internetanbindung vieler deutscher Haushalte. Müsste doch eigentlich ausreichen? In diesem Zusammenhang muss man verstehen, wie WLAN eigentlich funktioniert. Denn drahtlose Netzwerke auf Basis von IEEE 802.11 funktionieren ganz anders als kabelgebundene Netzwerke, zum Beispiel Ethernet. Während modernes Ethernet die Datenübertragung vollduplex ermöglicht (Senden und Empfangen ist gleichzeitig möglich), funktioniert WLAN nur im halbduplexen Betrieb. Denn WLAN nutzt zum Senden und Empfangen das gleiche Medium (das Funkspektrum). Sowohl Senden und Empfangen ist möglich, aber eben nicht gleichzeitig. Man spricht auch vom Wechselbetrieb.

Und dieser Wechselbetrieb muss koordiniert werden, damit nicht jeder WLAN-Teilnehmer wie verrückt durch die Gegend sendet. Für diese Koordination wird das CSMA/CA-Protokoll genutzt. Vereinfacht ausgedrückt verbraucht die Koordination des Datenverkehrs etwas von der Datenrate. Es bleibt weniger Datenrate für die Übertragung der eigentlichen Daten übrig. Die Netto-Geschwindigkeit (TCP Throughput) sinkt. Bei Wi-Fi 5 sind unter perfekten Laborbedingungen etwa 60% der theoretischen Datenraten möglich, wenn sich im WLAN nur ein Teilnehmer sowie der Access Point befinden. Da üblicherweise mehrere Teilnehmer im WLAN funken, belaufen sich die Durchschnittswerte in der Praxis bei bestenfalls 50% der offerierten Datenrate. Von möglichen 866 Mbit/s bleiben damit kaum mehr als 433 Mbit/s für die Datenübertragung übrig. Neben CSMA/CA gibt es noch weitere Protokolle, welche den Datenverkehr in einem WLAN koordinieren. Diese werden in sogenannte Control- und Management-Frames unterteilt. Zieht man diese beiden Frametypen von der Datenrate ab, erhält man denjenigen Anteil, der für die eigentlich zu übertragenen Daten übrig bleibt (Data Frames).

Datenrate nach Frame Types

Realistischerweise kann man deshalb davon ausgehen, dass lediglich etwa 25% der möglichen Datenrate wirklich in der Praxis nutzbar ist. Dieser Wert kann je nach Nutzungsszenario und Anzahl der WLAN-Teilnehmer leicht darüber oder darunter liegen. Ganz aktuell, während ich diesen Beitrag verfasse, bin ich lediglich mit 144 Mbit/s Datenrate angebunden. Dabei steht mir ein durchschnittlicher TCP Throughput von 41 MBit/s zur Verfügung. Das sind gerade einmal 28,47%. Gemessen habe ich das mit iPerf. Schaut einfach nach, ob euer WLAN-Router eine Messung direkt unterstützt. Unifi hat das zum Beispiel in der App eingebaut. Zur Not tut es auch ein Speedtest im Internet, dieser gibt erste Anhaltspunkte. Beachtet aber vorher, dass dann eure Internetleitung schneller als das WLAN sein sollte.

Ob euer WLAN also wirklich zu langsam ist? Meine Erfahrung zeigt: Liegt euer TCP Throughput bzw. eure Geschwindigkeit über 33% der möglichen Datenrate, sind die Ergebnisse eigentlich ganz gut und ich würde mir keine großen Sorgen machen. Internet, Youtube, Streaming sollten keine Probleme machen. Und große Datenmengen werden am Smartphone wohl eher selten übertragen. Netzwerkfestplatten gehören meiner Meinung nach ohnehin ans Kabel.

Werte über 50% solltet ihr eigentlich selten sehen. Halbduplex schließt das ziemlich aus. Habt ihr solche Werte, sollte die Messung überprüft werden. Bei dauerhaften Werten unter 20% liegen vermutlich grundlegende Probleme in eurem WLAN vor. Hier gilt es, dem Fehler auf die Spur zu kommen. Viele Ursachen sind möglich: Störungen, alte Endgeräte schlechtes WLAN-Design, d.h. falsche Einstellungen am WLAN-Router oder ein schlechter Aufstellort. Eventuell setzt ihr auch zu wenige Access Points für zu viele Clients ein.

iPhone 12 und Telekom Speedport Pro Plus: Von 9.700 Mbit/s bleiben nur 300 Mbit/s übrig.

Zurück iPhone 12 und dem Telekom Speedport Pro Plus: Zwar kann der Router eine aggregierte Datenrate von 9.700 MBit/s anbieten. Aufgrund der verbauten Technik kann das iPhone 12 aber maximal 1.200 Mbit/s verarbeiten. Ausgehend von dieser Datenrate kommen abzüglich der Control- und Management-Frames nur noch ca. 300 Mbit/s an Daten beim iPhone an (1.200 Mbit/s x 25% = 300 Mbit/s). Liegt eure Geschwindigkeit bei etwa diesen Werten, ist mit eurem WLAN alles in bester Ordnung. Macht euch dann einfach keine Sorgen. Freut euch!